Freitag, 15. Juli 2016

Straßen im Wandel - Ein Streifzug durchs Frankfurter Bahnhofsviertel

Das Frankfurter Bahnhofsviertel hat mich seit der Kindheit magisch angezogen. Damals redete man nicht offen davon, was sich dort abspielte. Mein Vater arbeitete bei Radio Diehl, Kaiserstraße 5, das ist am Roßmarkt, aber das wussten viele nicht so genau. Mein Opa auch nicht - und so lief er mit mir vom Hauptbahnhof geradewegs durch's Bahnhofsviertel und traute sich nicht, mich anzuschauen. Er zog mich an der Hand immer weiter, in der Hoffnung, dass ich nicht allzu viel von den bunten Bildern und eindeutigen Angeboten mitbekommen würde. Ich war fünf. 

Später mit sechzehn siebzehn machte ich eine Ausbildung am Willy-Brandt-Platz und lief wieder die Kaiserstraße runter. Einfach, weil dort meine Lieblingshäuser standen und eine super Eisdiele (Fontanella). 

 


In den Neunzigern wohnte meine Freundin Doris im letzten Drittel der Münchener Straße und ich liebte das bunte Angebot an Obst und die leichte Zwielichtigkeit in den Toreinfahrten. Doris' Sohn jedenfalls wurde von allen Nachbarn geliebt und hin- und heugeschaukelt. 

Anfang der zweitausender Jahre sang ich mit dem Chor ein paar mal im Festsaal der Loge zur Einigkeit in der Kaiserstraße - und riskierte einen Blick in hochherrschaftliche Hinterhöfe aus vergangenen Glanzepochen. 

Ganz viel später hatte ich einen Agenturjob im Westend (2010) und lief durch Taunus- und Moselstraße. Da fing es an, dass das Bahnhofsviertel ein Quartier wurde, in dem man ausging - also ich meine normale Leute. Ich entdeckte das Plank und futterte mich durch die Münchener, Elbe- und Weserstraße. Beim kleinen Vietnamesen Lam Frères und dem Plank bin ich bis heute hängengeblieben, außerdem bei treue Kundin bei verschiedenen Asia-Läden, der internationalen Buchhandlung, dem Schreibwarengeschäft Fleischhauer und Schuh-Krolla. 

In unregelmäßigen Abständen statte ich dem Viertel in der ewigen Mauser einen kleinen Besuch ab, so auch am Mittwoch, als ich am Hauptbahnhof meine Nichte in den richtigen Zug setzte. Während des Wartens hatte ich mir das neue "Frankfurt geht aus" gekauft und bekam Hunger. Ich schlenderte die Kaiserstraße bahnhofabwärts entlang, betrat zunächst die Internationale Buchhandlung, wo ich nie vorbeigehen kann und entdeckte ein Buch mit dem schönen Titel: Ein Garten über dem Meer. Ist es schön?, fragte ich die freundliche und sehr kompetente Buchhändlerin. Wunderschön, kam prompt die Antwort und ich nahm es mit. 



Genau nebenan befindet sich ein neuer Inder, der auch im Restaurantführer erwähnt wurde. http://eatdoori.com/k55/#eat-and-drink Die buntmoderne Aufmachung und das Angebot der Thali-Gerichte zog mich hinein. Außerdem hatte es plötzlich stark zu regnen begonnen. 

Ich nahm vorne an den niedrigen Marmortischchen Platz, bestellte mir ein Thali mit Butter Chicken und besah mir die Einrichtung. Ein bisschen Industrie-Style, ein bisschen Orient-Express, das Personal sehr freundlich und das Essen von exquisitem Aussehen und Duft. Ich musste an einen Indien-Aufenthalt vor rund 10 Jahren denken, wo wir auf der Durchreise nach Madurai von unserem Fahrer in eine sehr authentische Garküche geführt wurden. Die Teller waren Bananenblätter und ein Walla lief mit einem Henkelmann rum, gab jedem eine Schippe Reis und verteilte mit einem Schöpflöffel großzügig Currys. In Frankfurt geht das natürlich nicht. Es wurde ein ordentliches Silbertablett mit silbernen Schüsselchen darauf gebracht. Ordentlich waren auch Butterhuhn, Kichererbsen, Gemüsecurry, Raita und Kokosnussreis um ein Häufchen Basmatireis gruppiert. Aber doch sehr anders als bei den üblichen Indern - und sehr lecker.  Auch die handgemachte Mangolimonade und den Espresso kann ich empfehlen. 





 
Als ich fertig war, war es der Regen auch, und ich wanderte die Kaiserstraße weiter entlang, stellte fest, dass Eis-Fontanella eine neue Bleibe auf der anderen Straßenseite gefunden hatte und wagte einen Blick in einen schönen Hofeingang und ins noch leere Orange Peel. Ein cooles Ensemble zwar die ganze Kaiser, aber gleichzeitig sah ich, wie sich hier alles verändert: Ein Kettenrestaurant am anderen, eins schicker als das andere und trendiger und schnelllebiger. Nächstes Jahr schon kann das alles wieder anders aussehen und das Rohe, Baufällige, leicht Schmuddelige, aber auch Authentische und Spannende wird verschwunden sein. 


Ich lief zurück, holte Katharina vom Bahnhof ab. Wir nahmen diesmal die Münchener Straße hinunter, weil ich ihr dieses bunte Leben, diesen Kontrast von schick und schäbig, so dicht nebeneinander zeigen wollte. Wir landeten im Schreibwarengeschäft Fleischhauer und probierten Füller von Kaweko.http://www.kaweco-pen.com Sie schreiben super weich und wir mussten jede einen mitnehmen. Sie sagte: Für Schreiberinnen ist das wie Lingerie. Ich nickte beipflichtend. Ausgerüstet mit den neuen Füllfederhaltern wanderten wir ins Plank, wo wir uns in den neuen Raum, um den die Cafébar erweitert wurde, zurückzogen.  





Hier lässt es sich wunderbar plaudern, schreiben und auf die Münchener Straße hinausschauen - solange sie noch bunt ist.